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To avlaki

Von Petros Milatos

Stille Tage in Xatzh - Leben und Arbeiten in einem griechischen Bergbauerndorf. Ein weiteres Kapitel aus dem Buch des Lebens als Fremder unter Freunden in diesem wunderschönen Fleckchen Erde....

To Avlaki

Ich erwache aus traumlosem Schlaf. Nur einmal hat mich in der Stille ein Hund geweckt, aber ich bin sofort wieder eingeschlafen. Etwas rauscht. Nicht in meinen Ohren, sondern etwas rauscht so, als ob ein Gebirgsbach durchs Zimmer fließt. Gurgelnd, plätschernd, gluckernd läuft irgendwo Wasser ziemlich rasch bergab. Ich blinzle verschlafen und riskiere einen Blick unter der Bettdecke hervor durchs Fenster an den Morgenhimmel. Stahlblau, noch keine Sonne. Ich starre an die Wand gegenüber und warte, dass mein Gehirn langsam anfängt zu arbeiten. Soviel Retsina war das doch gestern Abend nicht gewesen. Ich warte vergeblich, dass mein müder Verstand eine logische Erklärung findet für das Rauschen. Regen kann es nicht sein, nach einem Wasserrohrbruch hört es sich nicht an, dazu ist es zu unregelmäßig, und doch – hier fließt doch irgendwo ein Bach durchs Haus! Das lässt mir keine Ruhe und ich stehe auf. Die Neugier macht mich wach. Nachdem ich beruhigt festgestellt habe, dass kein Wildbach durchs Zimmer fließt, öffne ich die Haustür und linse hinaus. Fast hätte ich sie erschrocken wieder zugeknallt, denn unmittelbar vor meiner Tür steht Thomas, mein griechischer Nachbar. Natürlich hat er mich gleich bemerkt und begrüßt mich lauthals.
„Petro! Ti kanis? Kalo hypno?“
Er stützt sich auf eine Art Harke ohne Zinken und grinst mit seinem zahnlosem Mund unter seinem Stoppelschnauzer hervor.
„Nero! Ja to perivoli!“
Spricht’s und deutet vielsagend vor seine Füße. Dort bemerke ich endlich den Grund für das Rauschen. In dem kleinen Graben entlang dem Weg vor meinem Haus fließt ein Sturzbach in Richtung Unterdorf, keinen Meter von meiner Haustür entfernt. Mit der Harke hat Thomas etwas weiter oberhalb einen kleinen Staudamm gebaut, der als Weiche dient und das Wasser direkt in den Graben zu seinem Garten leitet. Ich habe mir noch nie viel Gedanken über diesen kleinen Graben, griechisch „avlaki“, gemacht und war immer der Meinung, er diene der Ableitung von Regenwasser. Natürlich dient er zur Regenzeit auch dazu, doch im regenlosen Sommer ist er die offene Zuleitung des Zisternenwassers zu den Gärten, deren Gemüse ohne diese Bewässerung nie gedeihen würde.
Oberhalb des Dorfes steht die große Zisterne, die von einer Quelle aus den Weinbergen gespeist wird. Diese Quelle versiegt auch nicht in den heißen Sommern und versorgt so das Dorf mit dem lebensnotwendigen Nass.
Das Wasser aus der Zisterne wird zuerst in den Dorfbrunnen am Dorfplatz geleitet, wo es ein Auffangbecken speist. Am Abfluss dieses Beckens befindet sich ein Schieber, der den Weg in das Avlaki freigibt, sobald man ihn betätigt.
Im Laufe von Jahrzehnten, vielleicht sogar schon länger, hat sich im Dorf ein Wasserverteilungssystem entwickelt. Dieses System ist ein Mosaik aus gemeinsamem Bedürfnis und individuellem Anspruch. Nicht, dass sich die Dorfbewohner zusammengesetzt hätten und einen Plan gemacht hätten – nein! – ein jeder Bewohner hat seinem ureigenen griechischen Ego folgend das Avlaki mitgestaltet, indem er es natürlich vor seinem Haus gepflegt hat , aber auch entsprechend seiner egoistischen Natur, bestimmte Weichen zur Verteilung mit eingebaut hat. So entstand ein Netz von Wasserläufen, dessen Struktur dem Schienennetz einer Modelleisenbahn gleicht.
Jetzt fehlt nur noch jemand, der wie in einem Stellwerk die Weichen stellt.
Das ist im allgemeinen der „proetros“ – also der Bürgermeister.
Der bestimmt, wann wer wie lange das Wasser auf seinen perivoli fließen lassen darf.
In Deutschland würde man sagen: „Wassernutzungsplan“.
Also wird morgens der Schieber geöffnet und Thomas verschiebt auf der Straße die Steine so, dass das Avlaki in seinem Garten mündet. Danach ist dann der Niko dran, und anschließend die Frau Mourikis.
Wehe, wenn aber nach Frau Mourikis der Zwischenspeicher leer ist, was in trockenen Sommern schon mal vorkommt. Dann gibt’s Zoff. Spiro läuft zu Niko und macht ihm lauthals eine Szene. Die zwei können sich schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Parteibücher nicht riechen. KKE und ND prallen da aufeinander und das Dorf hat was zum lauschen und sich amüsieren.
„Ti na kànoume!“
Die Wasserversorgung der Haushalte verläuft nach ähnlichem Prinzip. Es gibt einen (!) Wasserhahn gleich neben der Mauer an der Kirche, dessen Zuleitung direkt aus der Hauptzisterne kommt. An diesen Wasserhahn kann man einen Gartenschlauch anstecken. Jeder Haushalt hat seinen eigenen Gartenschlauch und es liegen so etwas 6 Schläuche parallel vor dem Hahn und jeder wartet darauf, angeschlossen zu werden. Das andere Ende des Schlauches mündet jeweils in der Zisterne oder dem Wasserfass der Haushalte. Im Unterdorf gibt es noch mal einen Wasserhahn – dort funktioniert die Wasserverteilung nach dem gleichen Prinzip. Das ganze hat nur ein Problem: Es gibt hier keinen „Plan“, wer wann den Schlauch anstecken darf!
Jeder holt sich also sein Brauchwasser, wann er es gerade „braucht“.
Da der Grieche an sich schon sehr trotzig sein kann, wenn er der Meinung ist, er brauche jetzt Wasser, dann steckt er schon mal den Schlauch des Nachbarn ab und den seinen an, mit dem Erfolg, dass natürlich die Zisterne des Nachbarn nicht mehr weiter gefüllt wird. Sollte dieser das zufällig merken, kommt es wieder zu den schon oben erwähnten kleinen Wortgemetzeln auf dem Kirchplatz
Als Mitglied der Dorfgemeinschaft habe ich mir das Prinzip eine Weile angeschaut und dann brav auch einen Schlauch gekauft, ihn neben die meiner Nachbarn gelegt und natürlich auch öfters erleben müssen, dass man ihn mir vom Hahn genommen hat, wenn ich gerade mein Wasserfass füllen wollte. Allerdings verzichte ich auf jegliches Geplänkel deshalb, zum einen, weil ich nicht zu cholerischen Wutausbrüchen neige und nur schlecht welche ertragen kann, zum andern, weil ich als Xenos meine Lektion in Sachen „wie vermeide ich Schwierigkeiten als Neubürger in einem griechischen Bergdorf“ gelernt habe.
Doch dieser Schlauchanschluss an dem Wasserhahn geht mir nicht aus dem Kopf.
Als praktisch denkender Mensch und in der alten Heimat durch mehrere OBI-gesponsorte Heimwerkerkurse gegangen, mache ich mir meine Gedanken.
Die Lösung finde ich am nächsten Nachmittag während der Siesta.
Sie ist so einfach, dass ich mich selbst wundere, warum niemand außer mir darauf gekommen ist.
Ein kurzer Besuch in Aigio bei meinem guten Freund Stavros vom Eisenladen und ich schreite zur Tat.
Ich installiere in mein Fass einen Wasserstopp, wie man ihn aus Klospülungen kennt. Das ist das Ding mit dem Schwimmer dran, der bei Füllung des Wasserkastens aufschwimmt und dann die Wasserzufuhr mit einem Ventil stoppt.
Dann gehe ich zu dem Wasserhahn am Kirchplatz und baue vor (!) den Wasserhahn ein T-Stück in die Plastikzuleitung ein. An dieses stecke ich meinen Schlauch an sichere ihn mit zwei Schlauchschellen und – fertig! Mein Fass füllt sich automatisch und die Wasserzufuhr wird von dem Wasserstopp unterbrochen, sobald mein Fass voll ist. Bei Entnahme aus dem Fass läuft sofort wieder Wasser nach bis zum Füllstrich. So praktisch ist das, so einfach. Warum macht das nicht jeder so hier?
Zufrieden mit meinem Werk setze ich mich auf die Veranda und genehmige mir einen Ouzo. Das Wasserproblem scheint für mich ein für alle Mal gelöst zu sein.
Denkste!
Die Rechnung hatte ich ohne den Wirt gemacht, besser gesagt: ohne die Logik der Griechen, oder noch besser gesagt: was sie für Logik hielten!
Am nächsten Morgen werde ich durch eine laute Diskussion auf dem Kirchplatz geweckt.
Um den Wasserhahn stehen sie alle versammelt und diskutieren mit Händen und Füßen: meine Nachbarn!
Die Gesten sind ziemlich eindeutig. Es wird auf das T-Stück gedeutet und dann in Richtung auf mein Fass, Hände werden in die Luft geworfen, deutliches In-den-Nacken-werfen der Köpfe zeigt, was meine Nachbarn von dieser „deutschen“ Lösung halten – nämlich gar nichts!
Ich gehe hin und versuche, ihnen mein Patent zu erklären. Ich führe sie zu meinem Fass und zeige ihnen die Abstellautomatik. Das müssen sie doch verstehen!
Ich sehe, wie es in den Köpfen von Thomas, Niko, Spiro und Dimitri arbeitet, sehe aber kein Leuchten der Erkenntnis in ihren Augen.
Sie brabbeln , murmeln , zischen mir unverständliche Worte, ihre Körpersprache bedeutet nach wie vor Ablehnung. Die Ankunft des fliegenden Stuhlhändlers beendet unsere kleine Runde am Wasserfass. Die Nachbarn eilen zu ihren Häusern, um ihre Frauen davon abzuhalten, dem Roma in dem überfüllten Pickup noch mehr weiße Plastikstühle abzukaufen, die dann nach zwei Wochen mit abgebrochenen Beinen an der Mülle am Flussufer landen.
Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Diskussion ums Wasser noch nicht beendet ist. Wie recht ich habe, beweisen die Ereignisse am Nachmittag.
Beim Duschen kommt auf einmal kein Wasser mehr. Nanu?
Mit einem Handtuch um die Hüften schaue ich nach dem Rechten und entdecke meinen abgeschnittenen Schlauch, der unter dem T-Stück liegt, das mit einem Korken verschlossen worden ist.
Was nun kommt, ist eine von vielen noch folgenden Lektionen , die ich als Xenos hier lernen muss. Ein griechisches Wasserverteilungssystem, das schon seit Generationen so und nicht anders gehandhabt worden ist, kann man als neuer deutscher Mitbürger nicht einfach so ändern wollen. Aus Prinzip geht das nicht! Nicht, weil das neue System nicht funktionieren würde, nein, es geht deshalb nicht, weil ICH darauf gekommen bin, nicht meine Nachbarn. Und deshalb können sie nicht zugeben, dass mein Patent ja eigentlich gar nicht so schlecht ist. Ihr Stolz lässt das nicht zu.
Diese Erkenntnis kommt mir aber erst später. Zuerst denke ich, sie hätten es nicht kapiert.
Aber der Niko, mein direkter Nachbar, kommt und sagt mir unter vier Augen, was ich nicht für möglich halte.
„Die Idee ist gut!“sagt er und deutet auf mein Fass, „aber niemand weiß, wie viel Du von unserem Wasser nimmst am Tag.“
„Warum macht Ihr es nicht alle so?“ will ich wissen.
Er grinst verschmitzt.
„Weil wir unser Geld nicht nur für durchgeschnittene Schläuche ausgeben wollen!“
Es dauert einige Zeit, bis ich diese Lektion in griechischer Denkensart verstanden habe.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich dem alten System wieder anzuschließen. Wenn ich nicht auf dem Trockenen sitzen bleiben will.
Lange denke ich über diesen Versuch der „Missionierung in Sachen Wasser“ nach. Ich habe versucht, meinen Nachbarn etwas vor zu machen, von dem ich überzeugt bin, dass es funktioniere. Was ich nicht bedacht habe, ist die Sturheit, ja Starrköpfigkeit meiner lieben Nachbarn. Sie verschließen sich der Wahrheit, weil nichts wahr sein kann, was nicht wahr sein darf.
Es dauert lange, bis ich begreife, was hier dahinter steckt. Es ist in einem griechischen Bergdorf eine Sache der Ehre, Regeln des Zusammenlebens aufrecht zu erhalten, sie weiter zu tragen, so , wie es schon Generationen vorher getan haben. Und man darf als Außenstehender nicht einfach so versuchen, diese Regeln um zu schmeißen. Auch, wenn man in bester Absicht handelt.
Logik – ein griechisches Wort – den Gesetzen folgend.
Griechische Logik – den eigenen Gesetzen folgend.

Zwei Jahre sind vergangen seither.

Den Wasserhahn gibt es immer noch. Nur sieht er jetzt etwas merkwürdig aus.
Vor und hinter ihm ist ein Labyrinth von T-Stücken und Abzweigungen angebracht worden. Fast sieht dieses Gebilde aus wie ein modernes Kunstwerk von Tingely. Und an jedem freien Ausgang steckt ein Schlauch. Vier sind es , nein, fünf oder sechs, oder mehr? Es sieht aus wie ein moderner Oktopus. Ein Krake aus Plastikschläuchen. Und jeder seiner Arme hat eine andere Farbe. Der grüne ist von Spiro, der gelbe von Niko und der rote von Dimitri und dort der blaue von den Deutschen, die weiter unten neu gebaut haben. Meiner ist gelb – es gab keine andere Farbe mehr.
Gestern hat der Proetros bekannt gegeben, dass unser Dorf ans öffentliche Wasserleitungsnetz angeschlossen wird. Endlich – endlich?
Schade eigentlich.....

Geschrieben 04.02.2010, Geändert 13.02.2010, 4171 x gelesen.

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Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von Llinda vom 14.03.2010 19:05:08

Wunderbar geschrieben diese Geschichte. So sind sie, die Griechen - ich kann mir das Gebilde sehr gut vorstellen. Ich habe einmal auf Kreta erlebt, wie "Mann" ein Blumentopfbewässerungssystem gelegt hat!!!


Kommentar von Bunny vom 17.02.2010 17:54:08

Klasse Geschichte...;-)


Kommentar von Schalimara vom 15.02.2010 12:08:39

Wenn man diese doch sehr aufschlussreiche Geschichte gelesen hat, weiss man, warum es in Griechenland so ist wie es ist und sehr wahrscheinlich auch so bleiben wird ;-)